Am 3. August hat sich der Völkermord an den ÊzîdInnen im Nordirak zum zehnten Mal gejährt. Zu diesem Anlass haben der Flüchtlingsrat SH, die Landeszuwanderungsbeauftragte SH, die Landesarbeitsgemeinschaften für Migration in der SPD und bei den Grünen sowie das Yezidische Forum am 3. Sep-tember einen Fachtag im Kieler Landeshaus ausgerichtet.
Nach einem Grußwort der Stellvertretenden Landtagspräsi-dentin Eka von Kalben und einer Gedenkminute für die Opfer des Genozids führte Prof. Sefik Tagay von der TU Köln in die Geschichte des Êzîdentums ein. Der Journalist Tobias Huch und der aus dem Irak online zugeschaltete Menschenrechtler Mirza Dinnayi leuchteten die aktuelle Situation im Nord-Irak und bestehende Rückkehrrisiken aus. Die Lage der ÊzîdInnen und ihre aufenthaltsrechtliche Situation thematisierten Ilyas Yanc vom Yezidischen Zentrum Oldenburg und Axel Meixner, Jurist beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Dem Podiums-gespräch zwischen Expert*innen und dem Landtagsabgeord-neten Lars Harms, SSW, behandelte die Frage, ob Abschiebun-gen in den Irak verantwortbar sind und welche Alternativen es gibt.
Die Bilanz des Fachtags: Die Lage der ÊzîdInnen im Irak ist düs-ter – und wird es absehbar bleiben. In ihrem Kernsiedlungs-gebiet im kurdischen Sinjar kämpfen staatliche irakische und extremistische nichtstaatliche Akteure rücksichtslos um Macht und Einfluss. Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes bestätigt, dass „die Zukunftsperspektiven in Sinjar angesichts herausfordernder Lebensbedingungen, der Präsenz von nicht-staatlichen Milizen sowie einer mangelnden Umsetzung des sog. Sinjar-Abkommens schwierig“ bleiben. Inzwischen er-starkt der Islamische Staat (IS) einmal mehr im Irak, Flücht-lingslager werden aufgelöst, ohne dass die Menschen wissen wohin, und ÊzîdInnen sind in ihren seit dem Genozid weitge-hend ruinierten Siedlungsgebieten wieder auf der Flucht.
Ungeachtet dessen zaudern Bund und Länder, einen ange-messenen vollständigen Abschiebungsstopp zugunsten von ÊzîdInnen aus dem Irak zu beschließen, und sind mehrheitlich gewillt – trotz Anerkennung des Genozids durch den Deut-schen Bundestag im Januar 2023 - volljährige, männliche Êzî-dInnen in diese prekäre Un-Sicherheitslage abzuschieben und sie dort ihrem perspektivlosen Schicksal zu überlassen.
Die Veranstaltenden des Fachtags wenden sich am 3. Septem-ber mit einer Reihe von Forderungen an den Bund und an die Landesregierung Schleswig-Holstein:
- Ein bundeseinheitlichen Abschiebestopp für ÊzîdInnen und andere bei ihrer Rückkehr in den Irak höchst gefähr-dete vulnerable Gruppen.
- Ein Bundesaufnahmeprogramm zugunsten von Êzî-dInnen aus dem Irak, das ggf. auch für ausreisepflichtige ÊzîdInnen zugänglich gehalten werden soll.
- Einflussnahme der Landeregierung Schleswig-Holstein auf das Asyl-Bundesamt (BAMF), ÊzîdInnen regelmäßig Abschiebungsverbote zuzusprechen.
- Der in Schleswig-Holstein bestehende Erlass zu Rück-führungen in den Irak hinsichtlich der für vulnerable Per-sonen im Zielland bestehenden erheblichen Risiken so zu überarbeiten, dass Zuwanderungsbehörden bei Integra-tionsleistungen regelmäßig bleiberechtliche Alternativen zu Aufenthaltsbeendigungen weisen.
- Das Land Schleswig-Holstein soll bei der Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Landesaufnahmepro-gramms insbesondere gefährdeten ÊzîdInnen eine Auf-nahmeperspektive einräumen.
Hintergrund:
Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Irak ist ein Ab-schiebestopp längst überfällig: Die Lage für ÊzîdInnen hat sich in den letzten Wochen verschärft. Allenthalben herrscht Straf-losigkeit bei Tötungsdelikten. Der Islamische Staat (IS) reorga-nisiert seine Kräfte. Die irakische Regierung lässt dessen unge-achtet Zehntausende ÊzîdInnen aus den Flüchtlingslagern im Nordirak räumen – ohne, dass es einen sicheren Ort für sie gibt. Konkret bedeutet das: Genau zehn Jahre nach dem Be-ginn des Völkermords durch den IS stehen die ÊzîdInnen im Irak vor einer völlig ungewissen Zukunft.
Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes betont, dass die Schließung der Flüchtlingslager in der kurdischen Autono-mieregion sogar mit einer noch schlechteren Versorgung ein-herginge und die Situation für ÊzîdInnen zusätzlichen ver-schärfen würde. Auch eine innerirakische Fluchtalternative gibt es nicht, denn die ezîdidischen Familien und Einzelper-sonen sind auf die für sie überlebenswichtige Gemeinschaft und den Schutz in ihren traditionellen Siedlungsgebieten im Norden des Irak angewiesen.
(Quelle: frsh.de)