
„Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zeigen: In der künf-tigen Koalition drohen Menschenwürde, Menschlichkeit und Menschenrechte unter die Räder zu kommen. Recht wird zur Seite geschoben, absehbare Rechtsbrüche werden teils mit Formelkompromissen kaschiert”, kommentiert Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Europarecht einhalten, Rechtsstaat achten: Keine Zurückweisungen an deutschen Grenzen!
Künftig sollen auch Asylsuchende an den bundesdeutschen Grenzen zurückgewiesen werden, wohl in Absprache mit den Nachbarstaaten. Laut Europarecht dürfen Asylsuchende aber nicht an den Binnengrenzen zurückgewiesen werden. Das ge-plante Vorgehen unterläuft damit den Rechtsstaat, in dem sich Politik an geltendes Recht hält – obwohl im Sondierungspa-pier selbst formelhaft betont wird, dass man nur „rechtsstaat-liche Mittel” nutzen wolle, um die Migration zu reduzieren. Der Formelkompromiss der Sondierenden wird in der Praxis zu mehr rechtswidrigen Zurückweisungen führen. Im zweiten Schritt besteht die Gefahr, dass diese rechtswidrige Praxis eu-ropaweit ausgeweitet wird. Der letzte Streitpunkt ist aktuell nur noch, ob dies im nationalen Alleingang oder auf europä-isch koordinierte Weise geschieht.
Recht auf Familie für Menschen mit subsidiärem Schutz: Familien dürfen nicht getrennt werden!
SPD und Union wollen den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte erneut vollständig aussetzen. Schon 2016 hatte die damalige Große Koalition den Familiennachzug für diese Gruppe für zwei Jahre ausgesetzt. Das ist für die Betrof-fenen dramatisch und menschenrechtlich inakzeptabel, da ein Zusammenleben mit der Familie aufgrund der drohenden Ge-fahren im Herkunfts- oder einem Drittland meist unmöglich ist. Die Folge: zerrissene Familien. Schutzberechtigte werden über lange Zeiträume von ihren Angehörigen getrennt und ihres Rechts auf Familienleben beraubt.
Aufnahmeprogramme sollen enden: Deutschland darf bedrohte Afghan*innen nicht im Stich lassen!
Damit wird die letzte Rettungslinie für Menschenrechts-verteidiger*innen zum Beispiel aus Afghanistan gekappt – eine schäbige Entscheidung. Denn es gibt außer Aufnahmepro-grammen und dem Familiennachzug faktisch keine sicheren Fluchtmöglichkeiten – beide sollen nun massiv eingeschränkt werden. Das zwingt verfolgte Menschen erst auf die gefähr-lichen und „irregulären” Wege, die bekämpft werden sollten. Bezeichnenderweise wurde dies den bedrohten Frauen und Mädchen in Afghanistan, die dort aller Rechte beraubt sind, am Weltfrauentag verkündet.
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien: Deutschland darf sich nicht zu Handlangern von Diktaturen machen!
Aus Rettungsflügen sollen nun Abschiebeflüge werden. Nach Kabul sollen ab sofort regelmäßige Abschiebeflüge stattfinden – möglich wird das absehbar nur durch die Aufnahme diplo-matischer Beziehungen mit dem Taliban-Regime. Es heißt, dass die Abschiebungen beginnend mit Straftätern und Ge-fährdern durchgeführt werden sollen. Das Wort „beginnend“ zeigt offen: Perspektivisch sollen sich nicht nur Straftäter und Gefährder, sondern alle mit prekärem Aufenthaltsstatus nicht mehr sicher fühlen. Ein gezieltes Angst- und Verunsiche-rungsprogramm für die große afghanische und syrische Com-munity in Deutschland. Dass die Sondierer*innen zudem auf Abschiebungen nach Syrien insistieren, ist zynisch und rea-litätsfern. In Syrien fand gerade das größte Massaker der letzten Jahre statt.
Faire und vorurteilsfreie Asylverfahren statt neue, vermeintlich sichere Herkunftsländer!
Die Einstufung von Staaten als „sichere Herkunftsländer“ be-deutet, dass Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern pauschal als unbegründet betrachtet werden und es äußerst schwierig für sie ist, mit ihrer individuellen Verfolgungsge-schichte diese Vermutung zu widerlegen. Dies widerspricht dem individuellen Recht auf Asyl. Statt der nun geplanten Aus-weitung der Liste muss eine echte Einzelfallprüfung gewähr-leistet werden, die der tatsächlichen Gefahrenlage der Men-schen angemessen ist.
Statt bundesweiter Durchsetzung der Bezahlkarte brauchen Schutzsuchende Sicherheit, Perspektiven und Rechte!
Die stigmatisierende Bezahlkarte soll flächendeckend durch-gesetzt werden. „Umgehungen sollen unterbunden werden”. Das klingt wie eine Warnung an die Zivilgesellschaft – es droht möglicherweise eine Kriminalisierung humanitärer Tausch-Initiativen.
Wiederabschaffung der anwaltlichen Vertretung in Abschiebungshaftfällen: Keine Freiheitsentziehung ohne Rechtsschutz!
Das Recht auf anwaltliche Unterstützung in Abschiebungs-haftfällen soll nun wieder abgeschafft werden – obwohl sich bei juristischen Überprüfungen rund 50 Prozent aller Haftbe-schlüsse als rechtswidrig erweisen.
Vom „Amtsermittlungs- zum Beibringungsgrundsatz“: Asylverfahren müssen fair bleiben!
Der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet, dass Behörden im Asylverfahren von sich aus alle relevanten Tatsachen ermitteln müssen, um eine faire Entscheidung zu treffen. Das sieht auch das Europarecht vor: Die Asylbehörden müssen relevante Her-kunftslandinformationen einholen und berücksichtigen, jeder Antrag muss objektiv und unparteiisch geprüft werden. Sie sind verpflichtet, aktiv nach Beweisen für die Schutzbedürf-tigkeit einer Person zu suchen. Schon jetzt haben Asylsuchen-de aber umfassende Mitwirkungspflichten, der Amtsermitt-lungsgrundsatz ist also bereits stark eingeschränkt. Der Bei-bringungsgrundsatz hingegen würde bedeuten, dass Asyl-suchende selbst alle notwendigen Beweise für ihre Verfolgung vorlegen müssen. Die Beweislast läge damit allein bei den Schutzsuchenden – eine gravierende und potenziell euro-parechtswidrige Verschärfung.
(Quelle: proasyl.de)