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Geplante Verschärfungen im StaG stellen eine mittelbare Diskriminierung von älteren Menschen, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehenden (Frauen) u.A. dar

Bild: pixabay.com
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Das BMI hat zum Wochenende einen Referent*innenentwurf zu den geplanten Änderungen im Staatsangehörigkeitsgesetz vorgelegt:

 

Darin sind einige längst überfällige Verbesserungen bei der Einbürgerung vorgesehen, die auch schon durch die Medien gegangen sind – vor allem die regelmäßige Verkürzung der Voraufenthaltszeit von acht auf fünf Jahre und die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit. Daneben sind aber zum Teil auch erhebliche Verschärfungen enthalten – z. B. zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit von Kindern.

 

Besonders drastische Auswirkungen wird die geplante Verschärfung bei der Pflicht zur Lebensunterhaltssicherung gegenüber der jetzigen Rechtslage entfalten: Bisher besteht gem. § 10 StaG der Anspruch auf Einbürgerung, wenn man den

 

Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat“.

 

Diese Ausnahme gilt bisher zum Beispiel dann, wenn man wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit Bürger*innengeld braucht, wenn man wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht arbeiten kann, wenn man trotz Bemühungen keine Arbeit findet oder wenn man in Ausbildung oder Schule ist (vgl. Vorläufige Anwendungshinweise zum StAG, Nr. 10.1.1.3)

 

Genau diese Ausnahme bei unverschuldetem Leistungsbezug soll jedoch weitestgehend gestrichen werden: Sie soll künftig nur noch für Personen aus der ersten BRD-„Gastarbeiter*innen“- oder DDR-Vertragsarbeiter*innen-Generation gelten. Ansonsten soll man trotz SGB-II / SGB XII-Bezugs nur noch dann einen Anspruch auf Einbürgerung haben, wenn man in den letzten zwei Jahren 20 Monate in Vollzeit erwerbstätig war und weiterhin ist, oder der Ehegatte diese Voraussetzung erfüllt und man ein minderjähriges Kind hat. Weitere Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

 

Diese Verschärfung, bei der sich wohl die neoliberale Logik der FDP auf ganzer Linie durchgesetzt hat, würde nun dazu führen, dass all diejenigen, die nicht Vollzeit arbeiten (können) und ergänzende Leistungen vom Jobcenter oder Sozialamt benötigen, vom Einbürgerungsanspruch ausgeschlossen werden. Das können zum Beispiel sein:

 

·       Rentner*innen mit normaler oder geringer Rente und aufstockendem Grundsicherungsanspruch,

·       Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht oder nur eingeschränkt erwerbsfähig sind,

·       Menschen mit Behinderung, die in stationären Einrichtungen leben und ihren Lebensunterhalt über das SGB XII vom Sozialamt erhalten,  

·       Alleinerziehende, die aufgrund der Kinderbetreuung nicht (Vollzeit) arbeiten können und bei denen Unterhaltsvorschuss, Kinderzuschlag, Kindergeld und Wohngeld nicht ausreichen,

·       pflegende Angehörige, die nicht Vollzeit arbeiten können und deshalb Bürger*innengeld beziehen,

·       Schüler*innen, die ergänzende SGB-II-Leistungen erhalten,

·       Menschen, die unverschuldet arbeitslos geworden sind und ergänzend zum Arbeitslosengeld I noch SGB-II-Leistungen beziehen.

 

Den Realitäten auf dem prekären Arbeitsmarkt mit Teilzeitbeschäftigungen und befristeten Verträgen wird diese Änderung also nicht ansatzweise gerecht. Die geplante Verschärfung stellt eine mittelbare Diskriminierung von älteren Menschen, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehenden (Frauen), pflegenden Angehörigen, Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen usw. dar.

 

Dass es der Bundesregierung im Kern darum geht, die Einbürgerung wirtschaftlich nicht oder nur begrenzt verwertbarer Personen zu verhindern, zeigen übrigens sehr prägnant die im § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 b und c des Referent*innenentwurfs vorgesehenen „Ausnahmen“ von der Pflicht zur Lebensunterhaltssicherung ohne SGB II / XII. Denn für diese „Ausnahmen“ gibt es praktisch keinerlei Anwendungsfälle. Genauer:

 

·       Der SGB-II-Bezug soll unschädlich sein, wenn jemand vollzeit arbeitet und ergänzend SGB II erhält. Bei Vollzeitarbeit besteht jedoch aufgrund des Mindestlohns ein Anspruch auf mindestens 2.000 Euro brutto monatlich. In Steuerklasse 1 entspricht das 1.465 Euro netto. In diesem Fall besteht aber selbst bei einer Wohnungsmiete von 600 Euro warm kein Anspruch mehr auf ergänzende Leistungen vom Jobcenter

Regelbedarf:                        502 Euro

plus Warmmiete:               600 Euro

= Gesamtbedarf:             1.102 Euro;

 

Nettoeinkommen

(Steuerklasse 1):                1.465 Euro

minus ab Juli 2023

geltende Freibeträge:         348 Euro

= anrechenbares

Gesamteinkommen:        1.117 Euro

 

In diesem Fall würde also bei Vollzeitarbeit ohnehin prinzipiell nie ein ergänzender SGB-II-Anspruch bestehen (außer die Mietkosten sind für eine Person höher als 600 Euro), die „Ausnahme“ läuft faktisch leer.

 

·       Der SGB-II-Bezug soll zudem für die ganze Familie unschädlich sein, wenn eine Person in Vollzeit arbeitet und mit Ehepartner*in und minderjährigen Kind(ern) zusammen lebt. Auch dazu eine Rechnung, hier mit dem Beispiel zwei Kinder, 6 und 10 Jahre alt und Miete von 900 Euro warm:

 

Regelbedarf Mutter:          451 Euro

Regelbedarf Vater:             451 Euro

Regelbedarf Kind 1:           348 Euro

Regelbedarf Kind 2:           348 Euro

Warmmiete:                          900 Euro

= Gesamtbedarf:              2.498 Euro  

 

Nettoeinkommen

(Steuerklasse 3)                 1.590 Euro

minus ab Juli 2023

geltende Freibeträge:         378 Euro

= anrechenbares

Gesamteinkommen:        1.212 Euro

 

Das Einkommen reicht also nicht aus. Aber: Hinzu kommt das Kindergeld (500 Euro), so dass das Einkommen schon bei 1.712 Euro liegt und außerdem der Kinderzuschlag (500 Euro), so dass wir bei 2.212 Euro liegen. Zusammen mit dem zusätzlich zustehenden Wohngeld wird die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II überwunden. Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld sind dabei keine Leistungen nach dem SGB II, so dass für die Einbürgerung der Lebensunterhalt dann auch ohne die Ausnahme als gesichert gilt. Auch in diesem Fall greift die Ausnahme somit nicht.

 

Es gibt in der Praxis kaum oder keine Anwendungen für die vorgesehenen Öffnungen. Statt vermeintliche Ausnahmen neu zu schaffen, die nur auf dem Papier stehen, sollte der Bundestag an der bisherigen Regelung zur Lebensunterhaltssicherung in § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG festhalten.


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