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Fünf Fragen zum EU-Asyldeal

Bild: pixabay.com
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Nach jahrelangem Streit liegt ein umstrittener Kompromiss zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) auf dem Tisch, doch viele Fragen zur Umsetzung bleiben offen. Nachdem sich der Europäische Rat am 8. Juni über die Grundlagen der Reform geeinigt hat, fangen jetzt die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament an, die voraussichtlich zu einem Votum Anfang 2024 führen werden.

Die Innenminister*innen der EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf zwei Verordnungen geeinigt:

 

- Asylverfahrensverordnung

- Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung

 

Die Verhandlungen über zwei weitere Verordnungen laufen bereits. Ob es auch über die sogenannte Verordnung zur Bewältigung von Krisensituationen eine Verhandlung geben wird ist unklar. Verordnungen sind verbindlich und gelten direkt in allen EU-Mitgliedstaaten.

 

Asylverfahrensverordnung:

Die neue Verordnung verändert grundsätzlich den Zugang zum Asylsystem für Personen, die Schutz in der EU suchen.

 

Grenzverfahren: Schnellverfahren für Personen aus bestimmten Herkunftsländern.

 

- Bei Schutzsuchenden, die die EU-Außengrenzen betreten, an den EU-Außengrenzen festgenommen werden oder im Meer gerettet werden, wird künftig geprüft, ob ihr Asylgesuch im sogenannten Grenzverfahren (Artikel 41) bearbeitet werden muss.

- "Grenzverfahren" finden unter der sogenannten "Fiktion der Nicht-Einreise" statt (Artikel 41, Abs. 2). Es wird also rechtlich fingiert, dass sich die schutzsuchende Person noch nicht auf EU-Boden befindet, obwohl dies physisch der Fall ist.

- "Grenzverfahren" bedeutet in der Praxis, dass ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt wird (Artikel 40). Die Betroffenen haben in solchen Verfahren nur einen eingeschränkten Zugang zu Rechtsmitteln gegen ablehnende Asylbescheide.

- Die Grenzverfahren sind vor allem für Personen vorgesehen, die aus Ländern kommen, die eine "Schutzquote" von 20 Prozent oder weniger aufweisen. Aber auch Personen, die keine Dokumente vorweisen können oder die bei der ersten Anhörung widersprüchliche Aussagen gemacht haben, müssen das Grenzverfahren durchlaufen (Artikel 41 Abs. 1-3).

- Staaten, die für die Durchführung der Grenzverfahren zuständig sind, sollen dafür sorgen, dass Schutzsuchende nicht das Grenzgebiet verlassen, solange sie im Verfahren sind (Artikel 41f). Das heißt, sie können die Schutzsuchenden unter haftähnlichen Bedingungen festhalten.

- Dafür sind insgesamt 30.000 Plätze in Einrichtungen an den EU-Grenzen vorgesehen (Artikel 41 ba).

- Grenzverfahren dürfen maximal 12 Wochen dauern (Artikel 41c, Abs. 2).

 

Zulässigkeitsprüfungen:

- In sogenannten Zulässigkeitsprüfungen (Artikel 36) können die Asylbehörden prüfen, ob der Schutzsuchende aus einem Land eingereist ist, in dem er Asyl hätte beantragen können (first country of asylum – "erstes Asyl-Land") – oder aus einem "sicheren Drittstaat" (safe third country).

- Als "erstes Asyl-Land" und "sicherer Drittstaat" werden Staaten bezeichnet (Artikel 43a-45), in denen angenommen wird, dass den Schutzsuchenden keine Verfolgung oder unmenschliche Behandlung drohen. Auch dürfen sie von dort nicht in lebensgefährliche Situationen abgeschoben werden (refoulment). Die Staaten müssen Menschenrechte beachten und den Asylbewerber*innen etwa Zugang zu Gesundheitsversorgung und Lebensunterhalt gewähren. Die Bezeichnung "sicherer Drittstaat" kann sich zudem auch nur auf eine oder mehrere Regionen eines Staates beziehen, es muss also nicht der gesamte Staat sicher sein. Auch soll es genügen, dass der Staat für bestimmte Personengruppen sicher ist.

- Als "sichere Drittstaaten" werden im Verordnungsentwurf bisher folgende Staaten genannt: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Kosovo, Serbien und die Türkei (Annex, Punkte 55-62).

- Wenn das Asylgesuch für unzulässig erklärt wird, muss die/der Asylbewerber*in die EU verlassen und wird in den „sicheren Drittstaat“ abgeschoben.

 

Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung:

Die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung schafft die Voraussetzungen für eine Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der Europäischen Union. Dadurch wird zum Teil die Dublin-III-Verordnung ersetzt. Die Zuständigkeit für Asylbewerber*innen bleibt prinzipiell bei den Staaten, in denen sie zuerst einreisen (s. oben). Wenn diese jedoch unter erhöhtem "Migrationsdruck" (migration pressure) stehen, können sie die anderen Mitgliedstaaten um Hilfe bitten (Artikel 44c).

 

Jedes Jahr soll die Europäische Kommission einen Bericht erstellen, auf dessen Grundlage ein "Solidaritätspaket" (solidarity pool) mit verfügbaren Kapazitäten, nötigen finanziellen Mitteln und einem Verteilungsschlüssel erarbeitet wird (Artikel 44a). Die Mitgliedstaaten sollen jährlich mindestens 30.000 Schutzsuchende verteilen und 600 Millionen Euro für Aufnahmemaßnahmen zur Verfügung stellen (Artikel 7c). Die Mitgliedstaaten sichern eine bestimmte Zahl an Plätzen (pledge) für die Verteilung zu. Staaten, die keine Schutzsuchenden aufnehmen wollen, können sich finanziell an dem "Solidaritätspaket" beteiligen oder eigene Mittel und Personal zur Verfügung stellen (Artikel 44a Abs. 2).

 

Offene Fragen

Die Reform lässt viele Fragen offen – besonders in Bezug auf die praktische Umsetzung der Gesetzesänderungen.

 

1. Wie viele Schutzsuchende werden in "Grenzverfahren" landen?

Es ist unklar, wie viele Personen aus welchen Ländern ihr Asylgesuch im sogenannten Grenzverfahren stellen müssen. Wenn man nur die Zahl der erstmaligen Antragsteller*innen aus Ländern nimmt, für die eine "Schutzquote" unter 20 Prozent gilt, kommt man für das Jahr 2022 auf mehr als 300.000 Personen. Geflüchtete ohne Dokumente könnten deutlich mehr sein: Rund die Hälfte der Schutzsuchenden, die Deutschland 2022 erreichten, hatten keine Dokumente. Übertragen auf die Gesamtzahl der erstmaligen Asylbewerber*innen in der EU wären das bei 885.000 Erstantragssteller*innen 2022 mehr als 400.000 Menschen.

 

2. Wo sollen Geflüchtete im "Grenzverfahren" untergebracht werden?

In der "Asylverfahrensverordnung" werden 30.000 Plätze für "Grenzverfahren" vorgesehen. In der Annahme, dass diese Verfahren maximal 12 Wochen dauern, könnten die Plätze für rund 120.000 Schutzsuchende im Jahr reichen. Diese Plätze sind für die gesamte Europäische Union vorgesehen. Allein im Mittelmeer-Raum (Spanien, Italien, Griechenland) wurden 2022 mehr als 150.000 Ankünfte von Schutzsuchenden registriert. Es ist fraglich, ob die geplanten geschlossenen Lager in den Grenzgebieten ausreichen – und nicht in kürzester Zeit überfüllt sein werden.

 

3. Was soll mit abgelehnten Asylbewerber*innen geschehen?

Schutzsuchende werden schon jetzt an den Außengrenzen der EU zurückgewiesen (sogenannte Pushbacks). Das geschieht in der Regel auf hoher See oder in unmittelbarer Nähe der Grenze. Rückführungen nach einer Zulässigkeitsprüfung oder einem Grenzverfahren würden allerdings nur gelingen, wenn "erste Asyl-Länder" oder "sichere Drittstaaten" sich bereit erklären, die Menschen wieder aufzunehmen. Ein derartiges "Rückübernahmeabkommen" ist Teil des sogenannten EU-Türkei-Deal von 2016 – führte jedoch zu wenigen tatsächlichen Rückführungen. Über ein ähnliches Abkommen verhandeln EU-Mitgliedstaaten derzeit mit Tunesien.

 

4. Wie viele Asylbewerber*innen können in der EU verteilt werden?

Die Verteilung von Geflüchteten ist einer der kontroversesten Punkte der Reform. Zwei EU-Mitgliedstaaten (Polen und Ungarn) lehnen prinzipiell die Reform ab. Es ist unklar, wie viele Mitgliedstaaten sich am Ende am "Solidaritätspaket" (solidarity pool) beteiligen werden – und in welchen Umfang. Vorgesehen ist die Verteilung von 30.000 Personen jährlich, die Aufnahme von Geflüchteten aus anderen Mitgliedstaaten ist aber nicht verpflichtend. Ohne ein funktionierendes Verteilsystem würden Grenzstaaten wie Italien und Griechenland schnell ihre Aufnahmekapazitäten ausschöpfen.

 

5. Wer hat die Aufsicht über das neue Asylsystem?

Wie bereits im aktuellen System verwalten einzelne Mitgliedstaaten ihr Asylsystem selbstständig. Aus dem Entwurf geht nicht hervor, ob es eine stärkere Beteiligung von EU-Institutionen an den Verfahren an den Grenzen geben wird. Die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) soll zum Beispiel lediglich eine unterstützende Funktion haben. Auch ist nicht klar, wer für allgemein geltende Entscheidungen zuständig ist, wie etwa die Frage, welche Länder als "erste Asyl-Länder" und "sichere Drittstaaten" gelten sollen.

 

(Quelle: mediendienst-integration.de)


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