· 

Flüchtlingsrechte und Migrant*innen im Fadenkreuz der ganz großen Koalition?! (FRSH)

Bild: frsh.de
Bild: frsh.de

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein wendet sich in tiefer Be-sorgnis an Politik und Landesregierung Schleswig-Holsteins über die aktuelle öffentliche migrations- und flüchtlingspoliti-sche Debatte, die von Seiten der Bundesregierung, der Oppo-sition und kommunalen Spitzenverbänden mit ständig neuen Forderungen und Plänen befeuert wird, Schutzsuchenden Zu-gänge zu verweigern, ihre Sozialleistungen zu streichen und Externalisierungen zu eskalieren. Wir empfinden diese Debat-tenlage als strategischen Angriff auf die Verfassung, die Legi-timität einer menschenrechtsbasierten nationalen Politik und auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Einwanderungs-land Deutschland und auf ein solidarisches Europa. Das ist Gift für unsere zumal mehr denn je auf Zuwanderung angewiesene Gesellschaft.

 

Die Bundesregierung hat mit der Vorstellung eines »Sicher-heitspakets« im August 2024 unter anderem angekündigt, Geflüchteten in Dublin-Verfahren die Grenzen für Schutzsu-chende schwerer überwindbar zu machen, Abschiebungen auch an Unrechtsregime zu ermöglichen und die Sozialleis-tungen drastisch kürzen zu wollen.

 

Tags zuvor war bereits Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit der Forderung völliger Sozialleistungsstreichung »bis auf eine Reisebeihilfe« in den Medien breit rezipiert worden. Der Vorschlag, geflüchteten Menschen selbst die geringste Unter-stützung für ihr Überleben zu kürzen oder ganz zu entziehen, reiht sich ein in eine seit Monaten befeuerte faktenarme So-zialleistungsdebatte, von Bezahlkarte bis Bürgergeld. Die po-litische Umsetzbarkeit, verfassungsrechtliche Zweifel oder gar moralische Skrupel haben keinen Platz in dieser Diskussion.

 

Täglich werden neue Forderungen laut. Unmittelbar nach der Vorstellung des »Sicherheitspakets« forderte Alexander Throm (CDU) eine Ausweitung der angedeuteten Kürzungspläne auf sämtliche geduldete Menschen. Solche Forderungen entbeh-ren nicht nur einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der realen Situation geflüchteter Menschen, sie sind sowohl eine sozialpolitische wie verfassungsrechtliche Verunreinigung, weil sie Grundwerte unserer Verfassung angreifen.

 

Daniel Thym, Prof. für öffentliches, Europa- und Völkerrecht aus Konstanz und Berater alter und amtierender Bundesregie-rungen beschreibt in einem am 2.9.2024 erschienenen FAZ-Artikel eine Agenda zur Überwindung einer „expansiven Men-schenrechtsjudikatur“, die die Freiheit der Staaten zunehmend beschränke. Der juristische Gutachter und rechtspolitische Leitstratege der CDU/CSU Thym beschreibt minuziös die Stra-tegie, durch gezielte und kalkulierte Rechtsverletzungen den Geltungsbereich der Menschenrechte sukzessive mit dem Ziel einzuschränken, dass der öffentliche Diskurs darüber mittel-bar auch die Gerichte veranlasst, den Menschenrechten weni-ger Raum einzuräumen.

 

Da kann es kaum verwundern wenn auch der Präsident des Deutschen Landkreistages (LKT) Reinhard Sager (CDU) auf dieses Trittbrett aufspringt und ebenfalls am 2.9.2024 Forde-rungen für eine Wende in der Migrationspolitik vorlegt, die den Vergleich mit den abwegigsten AfD-Positionen nicht zu scheu-en brauchen. Das Papier leitet mit einem Schwall alternativer Fakten über die vermeintliche Überforderung der Kommunen ein und fabuliert daraufhin so schlicht wie verfassungswidrig und insgesamt von juristischer Kompetenz und humanitärer Empathie weitgehend unbelastet über eine Politik, die u.a. auf die ersatzlose Beseitigung des subsidiären Schutzes und jegli-cher Aufnahmeprogramme setzt, ein Aus für den Familien-nachzug und eine soziale Prekarisierung Schutzsuchender auf das Null-Niveau Süd- und Ost-europäischer Mitgliedsstaaten einfordert. Überhaupt sollten Bürgerkriegsflüchtlinge allen-falls noch Schutz in den Nachbarschaften ihrer Herkunftslän-der erhalten, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan un-eingeschränkt vollzogen, regelmäßig alle Ausreisepflichtigen inhaftiert und ein vollständiger Aufnahmestopp für Schutzsu-chende vollstreckt werden. Ein Schalk, wer Böses dabei denkt, wenn der LKT offenbar sein Pamphlet zwar den Kommunen und den Staatskanzleien, nicht aber den für Geflüchtete zu-ständigen Länderministerien zugeleitet hat.

 

Aus der aktuellen Debatte wird deutlich, dass der Versuch ei-nes Umbaus der bis dato grundrechts- und völkerrechtsbasier-ten Asyl- und Migrationsregimes längst stattfindet: Die offen-sive Infragestellung auch der Rechtsprechung des EUGH oder des BVerfG zur Vergrößerung staatlicher Handlungs- und Re-gulationspotenz ist Teil dieser Strategie. Begründet werden die Forderungen nach einer Änderung des Grundgesetzes und nach einem „Faktischen Einwanderungsstopp“ sowohl von der Opposition wie den kommunalen Spitzenverbänden (s.o.) mit einer angeblich bestehenden „nationalen Notlage“: Es kämen zu viele Migranten ins Land, Deutschland sei überfor-dert. „Es reicht. Es ist jetzt genug. Jetzt müssen wir mal Konse-quenzen ziehen gegenüber dieser irregulären, anhaltenden Migration nach Deutschland.“ Die illegale Einwanderung in Deutschland sei „aus dem Ruder“ gelaufen, dem Bundeskanz-ler „entgleitet mittlerweile das eigene Land". FDP-Vorsitzen-der Lindner sekundiert in billigem und bisher der regelmäßi-gen Propaganda Rechtsextremer vorbehaltenen populis-tischen Duktus: „Die Leute haben die Schnauze voll davon, dass der Staat die Kontrolle über Migration verloren hat bei Einwanderung und Asyl nach Deutschland“.

 

Am 3.9.2024 haben erste Gespräche zwischen Ampelregierung und Opposition stattgefunden. Zu den Inhalten wurde Still-schweigen vereinbart. Wer aber sich die Lektüre der am selben Tag veröffentlichten Arbeitspapiere von CDU/CSU und von der FDP zumutet, kann sich auch ohne dabei gewesen zu sein, ei-nen Eindruck von den dort ausgetauschten besorgniserregen-den Ideen für eine künftige Flüchtlingspolitik verschaffen.

 

Mit der u.a. von der CDU schon im Vorfeld der Gespräche erho-benen Forderung nach Zurückweisungen an den Binnengren-zen wird allerdings selbst in den eigenen Reihen gewarnt, weil damit das Risiko einher gehe, die mühsam errungene europäi-sche Asylreform GEAS, die ebenfalls Verschärfungen vorsieht, zu gefährden. Denn wenn Deutschland die Einhaltung der Du-blin-Regeln infrage stelle, die in Europa die Zuständigkeit für Asylverfahren klären, drohe eine Art Domino-Effekt. Andere Länder könnten Asylbewerber dann zur Weiterreise nach Deutschland ermutigen. Wie weit aber sind wir gekommen, wenn auch SPD und FDP völkerrechtswidrige Vorschläge der CDU-Führung für diskussionswürdig erklären und von "kon-struktiven Gesprächen" reden? Denn mit der "Zurückweisung an den Binnengrenzen" fordert die CDU darüber hinaus etwas, das vom Europäischen GerichtshofEUGH mehrfach, zuletzt 2023, für rechtswidrig erklärt wurde.

 

Der Kommentar von Wiebke Judith von PRO ASYL ist treffend: "Eine Orbanisierung der CDU, die EU-Recht ignoriert, wäre ein Geschenk für jene, die die EU in einen Verbund nationalis-tischer ‘Vaterländer’ verwandeln wollen. Das Asylrecht ist hier-für ein Einfallstor.“ Dennoch bringt es die AMPEL nicht fertig, diese Forderung schlicht zurückzuweisen. Stattdessen kündigt sie eine "rechtliche Prüfung" an.

 

Auch die zwischen Bundesregierung und Opposition ausge-tauschte Idee, Menschen das zum Leben existenziell Notwen-dige zu entziehen, ist mit dem ersten Grundsatz unserer Ver-fassung unvereinbar: der Menschenwürde. Das Bundesverfas-sungsgericht hat schon 2012 in einer wegweisenden Entschei-dung festgehalten, dass das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ausnahmslos gilt – für alle Menschen, auch für geflüchtete. Dazu gehört sowohl die Sicherung der physi-schen Existenz mit Unterkunft, Ernährung und Körperhygiene, als auch ein Minimum an gesellschaftlicher Teilhabe und die Sicherung der soziokulturellen Existenz. Der Mensch ist ein soziales Wesen.

 

Im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind die Leistungen für Geflüchtete unterhalb des üblichen in Deutschland gelten-den Standards im Sozialrecht festgelegt – allein deshalb bege-gnet das Gesetz seit seinem Bestehen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mehrfach hat das höchste deutsche Gericht einzel-ne, zu niedrige Leistungen des Gesetzes korrigiert. Mindestens ein Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung ist auch der-zeit vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern die Abschaffung des Gesetzes.

 

Menschen, für deren Asylverfahren eigentlich ein anderer eu-ropäischer Staat zuständig ist, fliehen nicht nach Deutschland, weil es ihnen hier so gut, sondern weil es ihnen anderswo ex-trem schlecht geht. Viele Überstellungen in andere EU-Staaten dürfen aus menschenrechtlichen Gründen nicht vollzogen werden oder scheitern am Unwillen der beteiligten Staaten, die Schutzsuchenden wieder aufzunehmen.

 

Einmal in der Bürokratie der Zuständigkeiten der EU-Staaten gefangen, ist den Dublin-Geflüchteten eine eigenständige freiwillige Ausreise regelmäßig gar nicht möglich. Sie können also nicht selbstständig in den für sie zuständigen EU-Staat gehen und somit ihre Situation selbst ändern. Deshalb kann man ihnen eine Grundversorgung auch nicht mit dem Argu-ment verweigern, der andere Staat sei dafür zuständig. Auch ausreisepflichtige Menschen mit Duldung haben gute und oft zwingende Gründe für einen Verbleib in Deutschland. Dass sie aufgrund eines Fehlverhaltens hier leben, kann den allermeis-ten von ihnen nicht vorgeworfen werden.

 

Große Teile der deutschen Politik scheinen erreichen zu wol-len, Deutschland in einem beschämenden Wettbewerb der Unmenschlichkeit konkurrenzfähig zu machen. Mit anderen Worten: Wenn andere Staaten Menschen- und EU-Recht igno-rieren, will Deutschland das auch tun. Spätestens an diesem Punkt ist die Verweigerung von Sozialleistungen hierzulande keine rein deutsche Angelegenheit mehr, sondern untergräbt auch die europäische Zusammenarbeit und Solidarität in der Europäischen Union, die nach den Verheerungen eines Welt-kriegs mit Millionen von Flüchtlingen als Friedenssicherungs-projekt installiert wurde. Was sich dringend ändern muss, ist die völkerrechtswidrige Unterversorgung und Leistungsver-weigerung in anderen europäischen Staaten. Dafür braucht es die Solidarität wirtschaftlich starker Staaten wie Deutschland und eine konsequente Durchsetzung europäischen Rechts, auch durch Vertragsverletzungsverfahren.

 

Dass Vertreter der Ampel, der Opposition, der Kommunen und Teilen der Wissenschaft trotz der bekannten Vorgaben des Ver-fassungsgerichts und der europa- und völkerrechtlichen Lagen Vorschläge in den Raum stellen, die keinen Schutz und keine soziale Versorgung für Schutzsuchende zum Ziel haben, drückt die mit einer frappierenden Geschichtsvergessenheit gepaarte Verachtung für die Demokratie und den Verfassungs-staat aus, mit der die Debatte um Ausgrenzung und Leistungs-verweigerung für Geflüchtete derzeit vorangetrieben wird.

 

Mit der Formulierung »Null Euro vom deutschen Steuerzahler« versucht sich Christian Lindner – offenbar weitgehend ge-schichtsvergessen oder kalkuliert? – bei denjenigen anzubie-dern, die anfällig für völkische Vorstellungen von Gesellschaft sind. Das Steueraufkommen Deutschlands wird zu einem er-heblichen Teil von Migrant*innen ohne deutschen Pass, unter ihnen etliche Geflüchtete, miterwirtschaftet. Dem Finanzmi-nister der Bundesrepublik sollte das bestens bekannt sein.

 

Solche Anspielungen sind vermutlich keine gedanklichen Aus-rutscher – ebenso wenig wie die eines Friedrich Merz, wenn er so brutal wie rechtswidrig die Zurückweisung von Geflüchte-ten an der deutschen Grenze fordert. Oder eines Markus Sö-der, wenn er ohne jeden ernsthaften Anhaltspunkt behauptet, Heimatüberweisungen von Asylsuchenden seien ein existen-tes Problem. Wir merken an, dass der Bundesregierung keiner-lei Zahlen vorliegen, wie viel Geld Menschen, die Leistungen nach AsylbLG beziehen, in ihre Herkunftsstaaten schicken. Zudem bewegen sich die Leistungen aus dem AsylbLG unter dem Existenzminimum. Dass relevante Beträge als Überle-benshilfen für notleidende Familien abgezweigt werden könn-ten, ist somit realitätsfern.

 

Das Dauerfeuer der letzten Monate gegen eine humane Flücht-lingspolitik hat Methode. Und zwar eine, die man bestens ken-nen sollte. Es ist die bekannte Strategie eines gewissen Donald Trump aus den USA und hierzulande der so genannten Rechts-populisten: Die ungerührte Wiederholung der immer gleichen Behauptungen, das Ignorieren aller widerlegenden Fakten von juristischen oder wissenschaftlichen Analysen. Die Einträufe-lung des eigentlich Unsagbaren in die Gehörgänge, die mut-willige Grenzverschiebung des rassistisch Sagbaren in einer ei-gentlich doch so unbedingt auf Zuwanderung angewiesenen Gesellschaft und Volkswirtschaft.

 

Und der stete Tropfen wirkt: Schon lange bei internationalen Fach- und Arbeitskräften, die Deutschland schnell wieder ver-lassen und/oder ihre Expertise und Arbeitskraft laut einer OECD-Studie unter dem Eindruck von Informationen über den in Deutschland zunehmenden politischen und gesellschaft-lichen Rassismus dann doch lieber in Norwegen, Australien, in den USA oder in Canada anbieten. Der jüngste ARD-Deutsch-landtrend gibt ihnen offenbar Recht: Drei von vier Deutschen (77 Prozent) sind aktuell der Meinung, es brauche eine grund-sätzlich andere Asyl- und Flüchtlingspolitik, damit weniger Menschen zu uns kommen. Dass dieses Land sich weniger rassistisch gegenüber einwandernden Fachkräften als gegen-über Schutzsuchenden erweisen würde, scheint nicht im Erwartungshorizont von internationalen Fachkräften zu sein.

 

Der schon oben genannte Politikberater und Juraprofessor Daniel Thym ist der wichtigste christdemokratische Vordenker dieser auf nachhaltige Ausgrenzung der Mühseligen und Bela-denen (Math. 11, 28-30) ausgelegten Politik. In seinem schon 2023 vorgelegten Gutachten im Auftrag der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag kann man Vorschläge zu den Sozial-kürzungen Geflüchteter nachlesen und muss dabei allerdings auch feststellen, dass die Ampelregierung seine Vorschläge in den letzten Monaten bereits zum Teil abgearbeitet hat. Aber der Tiefpunkt der Debatte um die soziale Ausgrenzung Ge-flüchteter scheint noch nicht erreicht zu sein.

 

Lassen sich politische Klasse und Gesellschaft weiter auf eine Auseinandersetzung auf diesem Niveau herabwürdigen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Verfassung und das Sozial-staatsprinzip als solches das Ziel der Angriffe werden. Prof. Thym bedauert: »Eine flächendeckende Leistungsabsenkung lässt das enge Korsett der Verfassungsrechtsprechung nicht zu.« (S.1). Er hat deshalb bereits einen Vorschlag zur Verfas-sungsänderung vorformuliert, mit dem das Sozialstaatsprinzip für Nichtdeutsche beschädigt werden soll. Auch seine Strate-gie ist die der steten Grenzverschiebung: »Allein die Diskussion um eine Verfassungsergänzung diente als Signal, damit das BverfG [Bundesverfassungsgericht] das Grundgesetz nicht überstrapaziert.« (S.2)

 

So entfernen sich nicht nur die o.g. lautstarken Antreiber, son-dern immer mehr politisch Verantwortliche und ein größer werdender Teil der Gesellschaft weiter weg von einer beson-nenen Diskussion und Politik, die die Menschenwürde und die Verfassung achtet.

 

In der Praxis würde sich eine Reduzierung der Sozialleistungen auf Null als zutiefst unmenschlich erweisen. Wie weit will die große Koalition aus Regierung und Opposition gehen, um Menschen zu vertreiben? Sollen wir künftig zusehen, wie ge-flüchtete Menschen zu Hunderten unter Autobahnbrücken campieren, an Bahnhöfen sitzen und in unseren Städten um jedes Stück Brot betteln müssen? Wir haben solche Szenarien bereits in einigen EU-Ländern. Wenn einmal die Menschen-würde relativiert ist – wer wäre als Nächstes dran? Wenn wir akzeptieren, dass anderen die Würde genommen wird, was macht das mit uns selbst? Wir sollten froh darüber und dank-bar sein, dass wir in einem Land leben, das bis jetzt solche Zustände nicht kennt.

 

Allein die Vorstellung, geflüchteten Menschen das Nötigste zum Leben zu verweigern, diskreditiert die betroffenen Men-schen und befeuert Neid, Missgunst und Wutdebatten. Geringerverdienende oder Menschen mit viel zu kleiner Rente hilft das allerdings keinen Schritt weiter. Die Debatte trägt le-diglich dazu bei, den sozialen Frieden in diesem Staat weiter zu unterminieren.

 

Wer Tragödien wie in Mannheim, Solingen oder München nutzt, um ganze Communities in Sippenhaft zu nehmen, ihnen die Verantwortung für die mithin steigende Zustimmung zu rechtsextremen Positionen zuzuschieben und Fluchtmigration insgesamt zum Problem zu erklären, gießt Öl ins Feuer und wird selbst zum Wegbereiter für Gewalt. Schon während der sog. „Baseballschlägerjahre“ vor 30 Jahren haben wir erleben müssen, wie politische Kampagnen gegen Geflüchtete und das öffentliche Lamento über eine angeblich überforderte Re-gierung eine beispiellose Gewalt gegen Schutzsuchende legi-timiert und mittelbar freigesetzt hat. Das wollen wir in auf-merksamer Wahrnehmung auch aktuell steigender asylfeind-licher Gewalt jedenfalls nicht wieder erleben.

 

So dramatisch sich das Terrorattentat von Solingen darstellt – es ist sicher keine Rechtfertigung für die systematische Ab-wehr von Migrant*innen und Geflüchteten. Verbrechen mit Messern sind leider alltäglich, die Zahl der Delikte geht in die Tausende jährlich. „Es ist ein Problem der politischen Kultur geworden, dass zumindest bestimmte Parteien solche Delikte, die es auch schon vor 20 Jahren gab, instrumentalisieren und damit bestimmte Erklärungsmuster und Forderungen verbin-den“, so der Kriminologe Dirk Baier. Eine einzelne Tat würde dann sofort zum Versagen der jetzigen Politik hochstilisiert. Und das mache etwas mit den Menschen, gerade bei so schweren Taten, die enorm emotionalisieren. Dann werden auf Grundlage des Missbrauchs solcher Taten im Zuge des po-litisch interessengeleiteten Diskurses Vorurteile, die in Teilen der Bevölkerung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgrup-pen bestehen, befeuert und die Menschen leiten davon ab, dass unsere Einwanderungsgesellschaft insgesamt auf dem völlig falschen Weg wäre.

 

Schutzsuchende, solange sie ohne gesichertes Aufenthalts-recht sind, sind eine der schwächsten gesellschaftlichen Grup-pen, die kaum Gehör findet. Es ist billig, sich verbal jeglichen Mitgefühls und der Verantwortung für diese Menschen zu ent-ledigen. Das parteipolitische Wettrennen mit den Rechtsradi-kalen kann man so ohnehin nicht gewinnen, das haben die Wahlen in Thüringen und Sachsen gezeigt. Eine vergiftete Dis-kussion ist eben nicht dadurch zu retten, dass man immer mehr Gift hinzufügt. Um diese Demokratie zu bewahren, braucht es eine ernsthafte, verfassungstreue, rechtsstaatliche, standhafte, konstruktive Politik.

 

Wir fordern die Politik und die Landesregierung in Schleswig-Holstein dringend dazu auf, sich nicht an den o.g. und anderen geschichts-, grund-, europa- und völkerrechtsvergessenen, im Ergebnis fremdenfeindlichen und tatkräftigen Rassismus för-dernden Diskursen zu beteiligen und stattdessen mäßigend auf z.B. Parteifreund*innen und Funktionär*innen einzuwirken und damit zur Rückkehr zu einer sachbezogenen politischen Diskussionskultur und Arbeit beizutragen – zu einer Politik, die das Grundgesetz achtet und die Menschenrechte gegen ihre Feinde verteidigt. Das ist in diesen Zeiten bitter nötig.

 

(Quelle: frsh.de)


Kontakt

Zuflucht - Ökumenische Ausländerarbeit e.V.

Berckstr. 27

28359 Bremen

 

Tel. : 0421 8007004

Fax: 0421 8356152

zuflucht@kirche-bremen.de

Newsletter

Unseren  monatlichen Newsletter können Sie hier abonnieren!

 

Spendenkonto

Zuflucht e.V.

IBAN: DE14 2905 0101 0011 8305 85

Swift-BIC SBREDE22XXX

 

Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt und im Bremer Vereinsregister eingetragen unter VR 5198 HB