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Pro Asyl: "Obdachlos per Gesetz" - Bericht zum Leistungsausschluss in Dublin-Fällen

Bild: pixabay.com
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Mitte Februar setzt eine der reichsten Kommunen Deutsch-lands eine junge, geflüchtete Frau bei Minustemperaturen auf die Straße. Sämtliche Sozialleistungen werden ihr entzogen, sogar Rückforderungen gestellt – weil Kroatien für ihr Asyl-verfahren zuständig sei. PRO ASYL verständigt eine Anwältin, die beim Sozialgericht umgehend gegen den Beschluss der Stadt vorgeht. Angesichts der akut drohenden Obdachlosig-keit der jungen Frau entscheidet das Sozialgericht Karlsruhe binnen weniger Stunden. Am 19.2.2025 erklärt es mit deut-lichen Worten, dass es den Leistungsausschluss sowohl für verfassungs- als auch für europarechtswidrig hält (S 12 AY 424/25 ER). Nach dem Richterspruch kann die junge Frau in die Unterkunft zurückkehren.

 

Der Fall ist aber kein Ausrutscher, sondern Ergebnis des Ver-suchs der Ampelregierung, größtmögliche Härte gegen Flücht-linge zu demonstrieren. Die Strategie, aufgrund populistischer Forderungen von Rechtsextremen menschenfeindliche und rechtlich unhaltbare Gesetze durchzusetzen, ist jetzt mehrfach gescheitert – rechtlich, aber auch politisch, wie das unge-bremste Erstarken der Rechtsextremen bei der Bundestags-wahl zeigt. Leidtragende sind diejenigen, die sich für ihr schie-res Überleben – etwas zu Essen und ein Dach über dem Kopf – nun einzeln Hilfe bei Beratungsstellen, in Kanzleien und letzt-lich vor Gerichten holen müssen.

 

Der Fall ist kein Ausrutscher, sondern Ergebnis des Versuchs der Ampelregierung, größtmögliche Härte gegen Flüchtlinge zu demonstrieren.

 

Die Leistungsstreichung im »Sicherheitspaket«

 

Hintergrund des beschriebenen Falls ist eine Regelung aus dem so genannten Sicherheitspaket, einem Gesetz, das am 31. Oktober 2024 in Kraft getreten ist. Der neue § 1 Abs. 4 AsylbLG verlangt von den Behörden, ausreisepflichtigen Menschen im Dublin-Verfahren (dem europäischen Asyl-Zuständigkeits-verfahren) jegliche Unterstützungsleistungen zu entziehen. Lediglich für eine Frist von zwei Wochen und in eng be-grenzten Ausnahmefällen sollen bestimmte Leistungen noch erbracht werden dürfen. Regelmäßig aber lautet die gesetz-liche Forderung: Null staatliche Hilfe.

 

Begründet wird die Streichung von Sozialleistungen damit, dass Betroffene ihr Asylverfahren in dem für sie zuständigen europäischen Land führen müssen. Die Crux dabei: Die Be-troffenen können zumeist gar nicht ohne Weiteres ihren Auf-enthaltsort wechseln. Zwar sind freiwillige Ausreisen nach der Dublin-Verordnung grundsätzlich möglich. Aber die Behörden beider Staaten müssen dem zustimmen bzw. dies mitorga-nisieren. Nach noch geltender Dienstanweisung vom 12.12.2024 befürwortet das BAMF freiwillige Ausreisen nur in Ausnahmefällen, da die aufnehmenden Dublinstaaten »frei-willigen Einreisen« aus Sicherheitsgründen nicht zustimmen.

 

Hinzu kommt in vielen Fällen, dass einige europäische Staaten (wie etwa Italien oder Griechenland) kein Interesse an der Auf-nahme von Dublin-Fällen haben – ebenso wenig wie an ihrer menschenwürdigen Versorgung. Die betroffenen Geflüchteten wiederum haben häufig Angst vor der Rückkehr in die zustän-digen Staaten, weil sie dort (Polizei-)Gewalt erfahren haben oder ohne jegliche Unterstützung zu verelenden drohen (ein besonders drastisches Beispiel ist etwa Bulgarien). Dass nun auch Deutschland versucht, eine menschenwürdige Ver-sorgung von Geflüchteten einfach zu verweigern, wird das eu-ropäische Elend nicht beseitigen und es für die davon Betrof-fenen nur noch schlimmer machen.

 

Die gesetzliche Bruchlandung war absehbar

 

In Deutschland gilt noch immer das Grundgesetz und das eu-ropäische Recht – mit dem Grundsatz der Würde eines jeden Menschen. Überraschend kommt die Entscheidung des Sozial-gerichts Karlsruhe und einiger anderer Gerichte deshalb nicht. Die Bruchlandung der gesetzlichen Neuregelung war abseh-bar.

 

Bereits in der Sachverständigenanhörung des Bundestags zum Sicherheitspaket hatten Expert*innen die Ampel-Regierung vor der vollständigen Leistungsstreichung gewarnt. Neben PRO ASYL äußerten etwa Dr. Philipp Wittmann (Richter am VGH Baden-Württemberg) oder Sarah Lincoln (Gesellschaft für Freiheitsrechte) erhebliche europa- und verfassungsrechtliche Bedenken an der Leistungsstreichung.

 

Die Warnungen der Expert*innen verhallten jedoch weitge-hend ungehört. Im Kern blieb es beim vollständigen Leis-tungsausschluss.

 

Kein Einzelfall: Gerichte kassieren die Entscheidungen von Sozialämtern

 

Bereits mehrfach haben Sozialämter in den vergangenen Mo-naten mit Bezug auf die Neuregelung Kürzungen für Geflüch-tete beschlossen, die von Gerichten im Anschluss ausnahms-los abgeschmettert wurden.

 

Nach Auffassung des Sozialgerichts Speyer (20.02.2024 – S 15 AY 5/25 ER) verstößt die Leistungsstreichung gegen die Verfas-sung. Am 17.12.2024 machte das Sozialgericht Nürnberg klar, dass es die Norm mit dem Europarecht nicht für vereinbar hält (richterlicher Hinweis S 17 AY 68/24 ER). Ähnliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Leistungsentzugs mit Europäischem Recht äußerten die Sozialgerichte in Landshut (18.12.2024 – S 11 AY 19/24 ER), Osnabrück (18.12.2024 – S 44 AY 25/24 ER), Darmstadt (04.02.2025 – S 16 AY 2/25 ER) und Trier (20.02.2025 – S 3 AY 4/25 ER).

 

Die Leistungskürzungen der Behörden scheiterten in diesen rechtlichen Verfahren allerdings oft schon an einem einfachen Punkt: So bemängelten mehrere Gerichte, dass das Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den betreffenden Fällen nicht festgestellt hatte, dass die Ausreise in den zustän-digen EU-Staat rechtlich und tatsächlich möglich sei – genau dies ist aber die Voraussetzung für die Anwendung von § 1 Abs.4 AsylbLG. Inzwischen bereitet sich das BAMF offenbar darauf vor, reihenweise entsprechende Feststellungen in den Bescheiden zu treffen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass vielen Geflüchteten der Weg in eine menschenwürdige Versorgung im zuständigen Dublin-Staat trotz dieser Behaup-tung eben nicht umgehend möglich ist, dürfte sich an den grundsätzlichen verfassungs- und europarechtlichen Zweifeln der Gerichte nichts ändern.

 

Die verfassungs- und europarechtliche Kritik

 

Der erste Artikel des Grundgesetzes (Menschenwürde) ga-rantiert in Verbindung mit Artikel 20 (Sozialstaatsprinzip) ein menschenwürdiges Existenzminimum für jeden einzelnen Menschen, der sich in Deutschland aufhält. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Deshalb gehört zu einer menschenwürdigen Existenz nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht nur das nackte Überleben, die rein physische Existenz (»Bett, Brot, Seife«), sondern auch die Sicherung der sozio-kulturellen Existenz – das häufig so genannte »Taschengeld« für persönliche Bedarfe (Handy, Bücher, Fahrkarten, etc.). Eine Kürzung am menschenwürdigen Existenzminimum wäre nur erlaubt, wenn der Gesetzgeber nachweisen könnte, dass die betroffenen Menschen tatsächlich weniger brauchen als an-dere Menschen. Einen solchen Nachweis hat die Regierung, kaum überraschend, seit dem maßgeblichen und wegwei-senden Urteil des Verfassungsgerichts 2012 nicht erbringen können. Auch die Praxis der bloßen Kürzung (nicht vollstän-diger Streichung) von Asylbewerberleistungen steht deshalb seit langem in der Kritik, verfassungswidrig zu sein.

 

Das oben erwähnte SG Karlsruhe nimmt auf die Rechts-prechung des Bundesverfassungsgerichts in einem weiteren Punkt Bezug: Da die Regelung aus dem Sicherheitspaket »Ein-reiseanreize vermeiden und zur Ausreise aus Deutschland mo-tivieren soll«, sei der vollständige Leistungsausschluss »erst recht verfassungswidrig, denn selbst bloße Leistungsab-senkungen sind [laut Bundesverfassungsgericht] nicht mit migrationspolitischen Erwägungen zu rechtfertigen.« (S 12 AY 424/25 ER) Das bedeutet: Es ist verboten zu versuchen, Men-schen durch Leistungsentzug zur Ausreise zu zwingen.

 

Europarechtlich sehen die Gerichte in der vollständigen Leis-tungsstreichung des neuen § 1 Abs. 4 AsylbLG für Dublin-Fälle eine Verletzung der europarechtlichen Regelungen über Min-deststandards der Versorgung während des Asylverfahrens – die so genannte Aufnahmerichtlinie (EURL 2013/33). Sie ga-rantiert eine Mindestversorgung, von der nur in bestimmten Fällen abgewichen werden darf – die bloße Asylzuständigkeit eines anderen Staats gehört nicht dazu. Auch mit Blick auf die neue EU-Aufnahmerichtlinie, die 2026 in Kraft tritt, gibt es be-reits fundierte rechtlich begründete Zweifel an der Leistungs-streichung.

 

Das Sozialgericht in Nürnberg verweist darauf, dass schon die Vereinbarkeit der Vorläuferregelung (§ 1a Abs. 7 AsylbLG) mit dem EU-Recht akut in Frage steht: Im Juli 2024 hat nämlich das Bundessozialgericht diese Regelung dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt (Vorlagebeschluss des BSG vom 25.07.2024 – B 8 AY 6/23 R). Dabei sieht die im Verdacht des EU-Rechtswidrigkeit stehende, alte Regelung »nur« gekürzte Leistungen, nicht einmal die vollständige Leistungsstreichung vor.

 

Kaum Leistungsstreichungen in der Praxis

 

Das Sozialgericht Osnabrück weist in seinem Beschluss darauf hin, dass deutsche Gerichte Normen, die europarechtswidrig sind, unangewendet lassen müssen, auch wenn es (noch) kei-ne Vorlage ans BVerfG oder den EuGH gibt. Diese Verpflichtung gilt auch für rechtsanwendende Behörden und ergibt sich aus der EuGH-Rechtsprechung, wie Prof. Constantin Hruschka in seinem Text zur Unionsrechtswidrigkeit der Leistungsstrei-chung im Dublin-Verfahren erklärt.

 

Grundsätzlich wären alle Behörden gut beraten, menschen-rechtliche, verfassungsrechtliche und europarechtliche Vorga-ben zu achten und sich nicht in zahllosen überflüssigen, auf-wändigen Gerichtsverfahren korrigieren zu lassen.

 

Das mag ein Grund dafür sein, dass die völlige Leistungs-streichung wie im eingangs geschilderten Fall aus Baden-Württemberg seit dem Inkrafttreten des Sicherheitspakets nur selten erfolgt ist. Das Land Rheinland-Pfalz etwa schreibt den Behörden aufgrund einer »verfassungs- und europarechtlich notwendigen zeitlichen Ausdehnung« ein Mindestmaß an Leis-tungen für alle betroffenen Personen bis zur tatsächlichen Ausreise vor.

 

Andere Länder vermeiden den Rauswurf von Geflüchteten im Dublin-Verfahren aus ihrer Unterkunft schlicht deshalb, weil die Kommunen die betreffenden Menschen dann aus sicher-heits- bzw. ordnungspolitischen Gründen unterbringen müssten.

 

Grundsätzlich wären alle Behörden gut beraten, menschen-rechtliche, verfassungsrechtliche und europarechtliche Vor-gaben zu achten und sich nicht in zahllosen überflüssigen, aufwändigen Gerichtsverfahren korrigieren zu lassen. Die künftige Bundesregierung sollte daraus lernen, lieber gleich gewissenhaft auf Grund- und Europarecht zu achten und gar nicht erst rechtlich fragwürdige Gesetze zu verabschieden. Denn dass die entsprechende Regelung aus dem Sicherheits-paket künftig Bestand haben wird, darf inzwischen einmal mehr angezweifelt werden.

 

 (Quelle: proasyl.de)


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