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Statement: "Offene Gesellschaft statt autoritäre Wende: Gegen den Abbau des Rechtsstaats im Gewand der Migrationspolitik"

Bild: pixabay.com
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Gegen den Abbau des Rechtsstaats im Gewand der Migrationspolitik

 

Europa steht an der Schwelle einer autoritären Transforma-tion. Wie auch in den USA unter Trump wird dabei deutlich, wie eng der Abbau des Rechtsstaats mit einer Anti-Einwan-derungspolitik und rassistischer Hetze verwoben ist. Erneut werden in Deutschland Gewalttaten wie die Amoktat eines psychisch erkrankten Geflüchteten instrumentalisiert, um mit Verweis auf die innere Sicherheit fundamentale Grundrechte und EU-Recht auszuhebeln. Die Todesopfer müssen als neuer-liche Munition für das Mantra „Jetzt ist es aber genug! Jetzt muss gehandelt werden!“ herhalten. Dabei werden Menschen-gruppen unter Generalverdacht gestellt und politische Verant-wortlichkeiten unsichtbar gemacht. Migration wird zum Prob-lem erklärt und als solches ins Zentrum einer politischen Aus-einandersetzung gestellt, in der alle dringlichen gesellschaft-lichen Fragen aus dem Diskurs verschwinden: Wer redet noch vom Frontalangriff auf Sozialstaat und Arbeiter*innenrechte, den unbezahlbaren Mieten, der unglaublichen Vermögensun-gleichheit, der desolaten Infrastruktur, der fulminanten Zer-störung unserer Lebensgrundlagen im Zuge des Klimawandels und von den nahezu täglichen Femiziden in Deutschland? Wer redet vom Rassismus, den so viele Menschen in ihrem Alltag in Deutschland erleben? Wer redet von der strukturellen Entrech-tung von Menschen ohne deutschen Pass? Wer redet über das Sterben auf den Fluchtrouten und den traumatisierenden Er-lebnissen, denen Flüchtende dort ausgesetzt sind?

 

Stattdessen arbeiten politische Akteure von Union und bis weit ins rot-grüne Lager am Ausbau eines ohnehin schon töd-lichen Grenzregimes. Die Diskursrichtung wird dabei von der extremen Rechten vorgegeben, die seit Jahren ihre Narrative im Feld der Migrationspolitik vorantreibt. Davor warnen Stu-dien zu Rechtspopulismus und autoritären Kipppunkten seit geraumer Zeit. Die Strategie der extremen Rechten scheint aufzugehen: Dem Trumpschen Skript folgend verspricht nun CDU-Kanzlerkandidat Merz, ab dem ersten Tag seiner Amtszeit per Dekret die Grenzen dicht zu machen, eine zeitlich unbe-grenzte Abschiebehaft einzuführen und die Kompetenzen der Bundespolizei massiv auszuweiten.

 

Dabei weiß die CDU, dass rechtswidrige Vorhaben, wie die ei-nes „faktischen Einreiseverbots“, das ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch gelten soll, nur über das Aus-rufen eines nationalen Notstands möglich wären. Ihr Vor-sitzender stellt sich damit in die Reihe mit anderen autoritären Regierungen in Europa, die Grundrechte über Notstands-verordnungen außer Kraft setzen - und die erfahrungsgemäß nicht bei der Entrechtung einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe Halt machen. Für Deutschland kommt hinzu: Es ist ei-ne Lehre des Nationalsozialismus, dass Menschen nicht zeit-lich unbefristet in Haft genommen werden dürfen.

 

Frontalangriff auf die Demokratie

 

Die Abstimmungen im Bundestag, bei denen Union und FDP mithilfe der AfD Mehrheiten für ihre rassistischen Vorhaben bildeten, sind ein nächster eklatanter Schritt hin zu einem au-toritären Staatsumbau aus der Mitte. Er untergräbt nicht nur jegliches Vertrauen in das Versprechen einer Brandmauer, sondern ist ein Frontalangriff auf eine demokratische Gesellschaft.

 

Schuld am gegenwärtigen migrationsfeindlichen Klima ist je-doch nicht allein die Union. Auch Rot, Grün haben in der Am-pelkoalition Einwanderung in den letzten Jahren immer wie-der als (Sicherheits-)Problem adressiert und mit markigen Sprüchen „Härte“ und „Abschiebungen im großen Stil“ ange-kündigt. Eine Reihe von restriktiven Maßnahmen, wie die Wie-dereinführung von Grenzkontrollen und eine Politik des Aus-hungerns bei Geduldeten, wurden von der Ampel auf nationa-ler und europäischer Ebene auf den Weg gebracht. So folgt das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) mit seinen Grenzverfahren und Inhaftsetzungsmöglichkeiten einer ähnlichen Abschottungslogik. Die AfD gewinnt, die offene Ge-sellschaft verliert.

 

Selbstverständlich werfen Gewalttaten von Asylsuchenden wie in Aschaffenburg Fragen auf. Jedoch ganz anders, als sie dominant in der öffentlichen Debatte gestellt werden: Wie kommt es dazu, dass gefährdete kranke Menschen keine pro-fessionelle Hilfe erhalten, wenn sie explizit darum bitten? Und warum reagieren die Ermittlungsbehörden nicht bei gewalt-tätigen Personen, die den Behörden bekannt sind? Fehlende Prävention und Strafverfolgung sind ein Problem; doch die Gewalt hat mit der Herkunft der Täter nichts zu tun. Und mehr Sicherheit entsteht nicht durch eine Aufrüstung der Debatte und der Migrationspolitik. Kein Einreiseverbot, keine noch so militarisierten Grenzen hätten diese Taten verhindern können. Das zeigen alle Erfahrungen mit hochgerüsteten Grenzsys-temen, sowohl in Europa als auch in den USA. Der Fokus müsste viel eher darauf liegen, welche Bedingungen zu diesen Gewalttaten führen. Schauen wir auf die Asylpolitik, zeigt sich ein System, das seit Jahren durch eine Gesetzesverschärfung nach der anderen die Schlinge um den Hals von Schutz-suchenden enger zieht. Zukunftsperspektiven werden den Menschen genommen. Die Unterbringung von Geflüchteten wird systematisch prekarisiert. Rechtliche und psychosoziale Beratungsstellen werden rigoros eingespart, ganz zu schwei-gen von den Restriktionen des Asylbewerberleistungsge-setzes, das dezidiert nur Notversorgung garantiert. Seit Jahr-zehnten fordern Mediziner:innen, Ärztevereinigungen und Flüchtlingsräte erfolglos, gerade in puncto Gesundheitsver-sorgung, das Asylbewerberleistungsgesetz als Sondergesetz abzuschaffen.

 

Wenn wir von innerer Sicherheit sprechen, dann meint dies die Sicherheit einer Gesellschaft, in der Millionen Menschen - mit und ohne deutschen Pass - tagtäglich friedlich miteinan-der leben. Ein Viertel dieser Menschen hat einen Migrations-hintergrund und ist direkt davon betroffen, wenn ein Klima geschaffen wird, das ausgrenzt und verängstigt. Eine Politik, die auf rechtspopulistische Empörung und den Ausbau von Sicherheitsapparaten und Grenzaufrüstung setzt, legt ohne Not die Axt an die Eckpfeiler von Demokratie und Rechtsstaat-lichkeit. Kurz vor den Bundestagswahlen ist es höchste Zeit zu verstehen, dass Gemeinwesen, Demokratie und Menschen-rechte nicht durch Migration gefährdet werden, sondern durch die Gewalt der ökonomischen und politischen Verhältnisse, in denen wir leben und die sich tagtäglich für viele Menschen auf dem Globus drastisch verschärfen. In den vergangenen Jahren verschärfen sich dabei auf ganz fundamentale Weise autoritäre Tendenzen.

 

Postmigrantische Gesellschaft verteidigen, heißt Demokratie für alle erstreiten

 

Statt die Rechte der Migration immer weiter abzubauen, gilt es ganz im Gegenteil, die Potenziale und Widerstandskraft einer vielfältigen Gesellschaft zu stärken. Wer möchte und wer kann wirklich in einer biederen Kultur des “Deutschseins” leben, die Merz, Weidel & Co anstreben? In einer Kultur, in der Praktiken der Solidarität im Alltag der postmigrantischen Gesellschaft durch bewusst inszenierte Formate von völkischer Vergesell-schaftung, Hass gegen Andere und Ausgrenzung ersetzt wer-den? Wer möchte und wer kann in einer kulturellen Wüste le-ben, in der nationalistisch-rassistische Provinzialität herrscht - entgegen aller erkämpften demokratischen Freiheitsgrade und Möglichkeitsräume einer offenen Gesellschaft?

 

Dabei lehrt die deutsche Vergangenheit, sich den Anfängen von Ausgrenzungspolitiken zu widersetzen; “Nie wieder!” heißt, jedem Versuch, rassistischer Entmenschlichung und Entrechtung entgegenzutreten. In diesem Sinne fordern wir als “Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimefor-schung” das sofortige Ende der asyl-, aufenthalts- und sozial-rechtlichen Ausschlüsse. Stattdessen treten wir für eine Politik echter Gleichstellung ein. Es braucht Partizipations- und Mit-bestimmungsrechte für alle, die von den Politiken in diesem Land betroffen sind, etwa durch ein Wahlrecht für alle, die hier leben. Als offene Gesellschaft gilt es, für eine soziale, ökolo-gische und demokratische Zukunft für alle zu kämpfen.

 

 (Dr. Nikolai Huke - Leiter des Projekts "Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen" (gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung) an der Universität Hamburg)


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